Wo ist Ihr Atelier?

Mein Atelier ist seit jeher in meiner Wohnung – dem Ort, an dem ich lebe. Diese Entscheidung war sowohl praktisch als auch künstlerisch motiviert. Da ich als Psychoanalytiker arbeite und eine Familie habe, wollte ich mir den zusätzlichen Weg zu einem separaten Arbeitsplatz ersparen. Viel wichtiger aber ist die enge Verbindung zu meiner Kunst: Ich lebe mit ihr, ich „spreche“ täglich mit ihr. Mein erster Blick am Morgen gilt meinen Bildern. Die Arbeiten des vergangenen Tages hängen dort und warten auf eine erneute Begegnung. Haben sie sich über Nacht verändert? Wirken sie anders auf mich? Durch zufällige Blicke, oft aus dem Augenwinkel, entdecke ich manchmal erst nach Tagen oder Wochen, dass etwas nicht stimmig ist – dass ein Detail die Entfaltung des Bildes im Raum behindert. Dieser ständige Dialog ist essenziell für meinen Schaffensprozess. Mein Atelier ist immer „offen“. Ich muss keine großen Vorbereitungen treffen, um zu beginnen – der kreative Prozess bleibt im Fluss. Diese Unmittelbarkeit wäre nicht möglich, wenn mein Atelier an einem anderen Ort wäre. So forsche ich nicht nur an meinen Bildern, sondern auch daran, wie es sich mit ihnen leben lässt.

Wie ist Ihr Atelier organisiert und wie würden Sie das Ambiente in Ihren Arbeitsräumen beschreiben?

Mein Atelier ist ein hoher, lichtdurchfluteter Raum mit einem großen Fenster – ein kreativer Kosmos, der sich ständig wandelt. An einer Wand hängen die Arbeiten, an denen ich gerade arbeite, während gegenüber mein Schreibtisch mit Drucker und Computer steht, wo ich Korrespondenz erledige und an digitalen Editionen arbeite. Links und rechts davon befinden sich eine große Staffelei sowie Regale mit Pigmenten und Arbeitsmaterialien. Über allem, unter der Decke im „zweiten Stock“, lagern in weiteren Regalen meine aktuelleren Bilder. In der Mitte des Raums steht oft ein großer Tisch, an dem ich zeichne oder mit flüssiger Farbe male. Mein Atelier gleicht einer kreativen Höhle, einem Kunstlabor, in dem Chaos und Ordnung miteinander im Dialog stehen. Während des Arbeitens – besonders wenn ich intensiv an einer Serie arbeite – wird der Raum zunehmend unordentlicher. Dann bin ich mehr im Bild als im Raum. Erst wenn ich einen Moment des Abstands brauche, beginne ich, das Atelier wieder aufzuräumen. Dieser Wechsel zwischen Fülle und Klarheit spiegelt sich auch in meiner künstlerischen Praxis wider: Ich „überfülle“ das Bild mit Linien und Strukturen, um es dann wieder zu ordnen – ein ständiges Oszillieren zwischen Chaos und Klarheit. Atelier und Bild sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig.

Wie können Ihre Werke dazu beitragen, die Atmosphäre eines Raumes zu definieren oder zu verändern?

Meine Werke interagieren auf unterschiedliche Weise mit dem Raum – sie können ihn öffnen, vertiefen oder eine kraftvolle Präsenz entfalten. Landschaftsarbeiten, insbesondere jene mit einem ausgeprägten Horizont oder aus der Matrix-Serie, verleihen Räumen Tiefe. In den Bildern selbst entstehen immer neue Räume, in die man sich hineinbewegen oder verlieren kann. Sie lassen den Raum atmen, erweitern ihn. Anders verhält es sich mit meinen Bergbildern oder figürlichen Arbeiten. Diese wirken nicht in die Tiefe, sondern konzentrieren den Blick auf sich. Sie sind keine Fenster in die Ferne, sondern kraftvolle Gegenüber. So wie sie in meinem Atelier mit mir in Dialog treten, tun sie es auch in den Räumen, in denen sie hängen. Sie brauchen Platz, um sich zu entfalten, und können nur gezielt dosiert gehängt werden. In Ausstellungen erlebe ich oft, dass sie regelrechte Kraftfelder entwickeln – sie ziehen den Blick an, fordern Präsenz. Man kann sie aus der Distanz erfassen, doch feine Strukturen, Leerstellen und Schichtungen laden dazu ein, näher heranzutreten. Dieses Wechselspiel aus Distanz und Nähe, zwischen Einlassen und Zurückweichen, macht ihre Lebendigkeit aus. Die Kombination beider Werkgruppen – die einen mit ihrer Weite, die anderen mit ihrer Präsenz – schafft eine besondere Dynamik. Der Raum beginnt zu pulsieren, er wird nicht nur Kulisse, sondern selbst Teil des Erlebens.


Welche Materialien und Techniken bevorzugen Sie, und wie könnten diese die Atmosphäre eines Raumes beeinflussen?

Das Spiel mit Gegensätzen – Nähe und Ferne, Ordnung und Unordnung, Zartheit und Kraft, Konstruktion und Dekonstruktion – ist ein zentrales Element meiner Arbeiten. Diese Bewegung überträgt sich auf den Raum und prägt seine Atmosphäre. Auch in meinen Techniken und Materialien spiegelt sich dieses Spannungsfeld wider. Zeichnerische Elemente treffen auf ruhige Farbflächen, geometrische Formen stoßen auf körperhafte Linien. Filigrane Strukturen, mit feinen Pinseln gesetzt, kontrastieren mit kräftigen Pinselschlägen, die ich mit Schwung auf die Leinwand schlage. Meine bevorzugte Farbe ist Öl – obwohl Acryl ein schnelleres Arbeiten ermöglicht, ist Öl für mich körperlicher, sinnlicher. Seine Dichte, sein Fett, seine Tiefe machen die Malerei zu einer haptischen Erfahrung. Ich experimentiere mit Pigmenten, reibe Ölfarben und Aquarellfarben selbst an – dann verwandelt sich mein Atelier in eine alchemistische Küche, in der sich Stoffe und Stimmungen mischen. Als Bildträger arbeite ich vor allem mit Leinwand. Früher habe ich viel auf Papier gearbeitet, doch die Notwendigkeit, diese Arbeiten hinter Glas zu schützen, hat mich immer gestört – es ging zu viel Unmittelbarkeit verloren. Deshalb präsentiere ich gedruckte Arbeiten, wie die Matrix-Serie, oft kaschiert auf Alu-Dibond oder realisiere sie als Auftragsarbeiten direkt auf Leinwand. So bleibt die physische Präsenz des Bildes im Raum erhalten.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus, und haben Sie bestimmte Routinen, die Sie als essentiell für Ihre Produktivität betrachten?

Der erste Schritt am Morgen führt mich ins Atelier. Selbst wenn ich aus der Praxis komme, schaue ich als Erstes dort vorbei – als wäre es ein natürlicher Rhythmus meines Tages. Während ich darüber nachdenke, fällt mir etwas auf, worüber ich bisher nie bewusst reflektiert habe: Jedes Mal, wenn ich ins Atelier gehe, ziehe ich mich um. Nicht aus Angst, Farbe auf meiner Kleidung zu verteilen, sondern weil es sich anfühlt, als würde ich in eine andere Haut schlüpfen. Meine künstlerische Arbeit folgt keinem festen Tagesablauf mit klaren Anfangs- und Endzeiten. Vielmehr befinde ich mich in einem ständigen Prozess – ein Wechselspiel aus Denken, Malen, Zeichnen und Betrachten. Manchmal sitze ich lange vor meinen Bildern und lasse sie auf mich wirken. Manchmal wache ich nachts auf und habe eine neue Idee für ein Projekt. Und manchmal gibt es Nächte, in denen ich einfach durcharbeite. Es ist ein kontinuierlicher Fluss, in dem sich Inspiration nicht an Uhrzeiten hält.

Hören Sie Musik oder andere Klänge während Sie arbeiten? Wie beeinflusst das Ihre kreative Arbeit?

Ja, ich höre oft Musik beim Arbeiten – sie ist für mich mehr als nur eine Hintergrundbegleitung. Sie beeinflusst meine Stimmung und steht in direkter Verbindung zum Entstehungsprozess eines Bildes. Je nachdem, ob ich eine Arbeit gerade beginne, sie zerstöre oder nach einer harmonischen Komposition suche, verändert sich auch die Musik. Beim dynamischen, impulsiven Arbeiten höre ich oft Blues oder Rock. Wenn es um feinere Kompositionen geht, begleiten mich leisere Klänge – Klaviermusik von Ludovico Einaudi oder Dirk Maassen, aber auch klassische Musik. Diese enge Verbindung zwischen Musik und Malerei habe ich in einem Projekt mit einer Cellistin intensiv erforscht. Ich habe zu einer Cello-Sonate von Brahms gezeichnet und gemalt: Zum ersten Satz entstanden acht großformatigen Zeichnungen, der zweite wurde zu einem Film, in dem ich live zur Musik zeichnete, und der dritte führte zu einem Gemälde. Ziel war es, in vielschichtigen Überlagerungen eine bildnerische Antwort auf die Musik zu geben. Daraus entwickelte sich eine Performance, die wir mehrfach in Hamburg und zuletzt im Caspar David Friedrich Jahr in Greifswald aufgeführt haben.

Gibt es ungewöhnliche oder persönlich bedeutsame Gegenstände in Ihrem Atelier, und welche Bedeutung haben sie für Sie?

In meinem Atelier gibt es viele kleine Dinge mit persönlicher Bedeutung. Besonders Steine, die ich von Reisen mitbringe, haben ihren festen Platz. Ihre Strukturen faszinieren mich – manchmal finden sie sogar ihren Weg in meine Bilder. Das wohl ungewöhnlichste Objekt aber ist ein schwarzer, barocker Holzengel, der in einer Ecke unter der Decke hängt. Seine Geschichte ist ebenso rätselhaft wie seine Erscheinung. Ich entdeckte ihn einst auf dem Dachboden meiner Schwiegereltern, wo er mir mit einer gewissen Ehrfurcht gezeigt wurde. War er ein Schutzengel? Oder verkörperte er etwas Dunkleres? Die Nachbarn meiner Schwiegereltern handelten mit Antiquitäten, doch die Nachbarin wollte den schwarzen Engel nicht in ihrem Haus behalten. Sie bat meine Schwiegereltern, ihn bei sich unterzubringen – und obwohl diese nicht abergläubisch waren, landete er vorsichtshalber auf ihrem Dachboden. Doch selbst dort blieb eine gewisse Unsicherheit, was es mit ihm auf sich hatte. Als ich ihn schließlich mit nach Hamburg nahm, war ich selbst nicht frei von diesem Gefühl. Doch mit der Zeit wurde er für mich eine Art Begleiter – vielleicht ein Schutzengel, vielleicht ein Wesen, das Gegensätze vereint. Denn wer sagt, dass er nicht zugleich Gutes und Böses in sich trägt? Diese Ambivalenz, dieses Unheimliche, findet sich auch in meiner Kunst wieder. Und so bleibt der schwarze Engel nicht nur ein Objekt in meinem Atelier, sondern eine Geschichte, die man immer weiter träumen kann.

Was inspiriert Sie?

Meine größte Inspirationsquelle ist die Natur. Ich zeichne und male oft plein air – doch es sind nicht nur die visuellen Eindrücke, die mich begleiten und beeinflussen. Geräusche, Gerüche, das Licht und die Atmosphäre eines Ortes fließen in meine Wahrnehmung mit ein. Manchmal haben solche Momente etwas Magisches. Zurzeit zieht es mich immer wieder zu einer Quelle, die ich zeichne. Das unaufhörliche Sprudeln des Wassers, seine Lebendigkeit und Kraft berühren mich tief – es ist für mich ein Bild für das Leben selbst. Ich spüre eine innere Verbindung zu dieser Energie, als gäbe es solche Quellen auch in mir. In meinen Arbeiten versuche ich, genau diese Lebendigkeit spürbar zu machen. Die Natur ist für mich ein Spiegel innerer Zustände. Gleichzeitig gibt es Momente, in denen ich etwas völlig neu wahrnehme – als würde sich eine vertraute Welt plötzlich fremd und wunderbar zeigen. Ich versuche, solche Erlebnisse zeichnerisch festzuhalten, was natürlich nie ganz gelingt. Aber sie verändern meinen Blick, lassen mich neue Wege erkunden. Inspiration entsteht für mich aber nicht nur in der Natur. Gespräche, einzelne Worte, zufällige Eindrücke beim Spazierengehen oder Ausstellungen verweben sich mit meinen aktuellen Arbeiten und eröffnen neue Blickwinkel. Neulich fiel in einem Gespräch der Begriff „Lücken“, und plötzlich begann er in meinen Gedanken zu kreisen – wurde zu einer bildlichen Idee, die sich mit kompositorischen Fragen verband, die mich ohnehin beschäftigten. Solche Impulse sind oft der Beginn neuer Arbeiten.